Die Wachleute guckten dumm, weil der Professor schon gegen fünf im Institut ankam und einen sehr zerfahrenen Eindruck machte. Man wollte ihn gar nicht gleich einlassen, weil es nicht üblich war, dass jemand um diese Zeit allein in seinem Büros war. Bill Goodman musste erst eine bestimmte Nummer anrufen, um die Wachleute zu besänftigen und sie auch gleich noch darauf vorzubereiten, dass Filomena Streubel auch bald erscheinen konnte.
Hinter verschlossenen Türen weihte der Professor seine Assistentin in seine überraschenden Erkenntnisse ein. Filomena fiel es wie Schuppen von den Augen. Freilich, allein wäre sie nie darauf gekommen, dass sie bei ihren Berechnungen immer wieder den gleichen Fehler gemacht hatten. Andere Wissenschaftler allerdings auch, wie sie gerade von ihrem Chef belehrt wurde. Nun, wo er sie mit der Nase darauf stupste, konnte sie seinen Überlegungen folgen. Plötzlich verfärbte sie sich. Messerscharf hatte sie die eigene Schlussfolgerung gezogen, dass der Komet viel früher auf die Erde treffen musste. „Wenn das stimmt“, kreischte sie auf, „das wäre ja furchtbar.“
Bill Goodman war schon etwas gefasster. Ein wenig sarkastisch sagte er: „Furchtbar, weil wir es nicht mehr lange verdrängen können? Weil wir notwendige Entscheidungen nicht mehr lange vor uns herschieben dürfen?“
Er sah seiner Assistentin an, dass sie im Moment nicht mehr sehr belastbar war. Zu ungeschickt war sein Versuch, sie zu trösten. Sie schob entschlossen seine Hand von ihrer Schulter und sagte in einem völlig veränderten Ton: „Machen wir uns an die Arbeit. Ich sehne mich jetzt nur noch nach Gewissheit.“
Drei Stunden später hatten sie ihre neuen Berechnungen tatsächlich zehnmal überprüft. Stur wies der Computer nach jedem Rechengang als kritischen Moment den Januar des nächsten Jahres aus. Die Hoffnungen auf ein anderes Ergebnis waren von Minute zu Minute geschrumpft.
Sehr ernst stand der Professor vor seiner Assistentin. Im strengen Dienstton sagte er: „Ich hoffe, ich brauche Sie nicht besonders darauf hinzuweisen, welche Brisanz diese Erkenntnisse haben. Ein Wort von Ihnen kann zu einer weltweiten Panik führen. Ich werde jetzt den Präsidenten informieren und Sie gehen nach Hause und versuchen zu schlafen. Nehmen Sie ein Schlafmittel.“
Der Professor schloss sich in sein Arbeitszimmer ein und nahm per Telefon den Kampf mit der Bürokratie auf. Er kannte nur ein Ziel. Den Präsidenten musste er unter vier Augen sprechen und das schien absolut unmöglich. Bei seinen Telefonaten bekam er erst mal eine Vorstellung davon, wie viel Vorzimmer und Filter so ein Präsident hatte. Alle wollten unbedingt wissen, worum es ging, aber das konnte er den Leuten ja nicht sagen. Beinahe hätte er das Handtuch geworfen. Immerhin hatte er nun das Versprechen, dass man ihn innerhalb der nächsten Stunde zurückrufen würde. Er setzte nun nur noch darauf, dass er dem Präsidenten in seiner leitenden Funktion bei der Weltraumbehörde nicht unbekannt war.
Endlich dachte Bill dran, bei seiner Frau mal Laut zu geben. Er spürte schon die Spannung in ihrer Stimme. „Leider habe ich Recht“, sagte er lakonisch und fügte noch hinzu, dass er sicher bald seine Visite machen würde.“ Es kam kein rechtes Gespräch zu Stande. Hannas Stimme zitterte, als sie aussprach, was ihr so am Herzen lag: „Pass gut auf dich auf. Ich liebe dich. Bitte lass wieder von dir hören. Wie gerne würde ich in diesen Stunden bei dir sein.“
Während der Professor immer noch auf einen Rückruf wartete, war seine Assistentin immer noch dabei, ihr Schlafmittel einzunehmen. Auf dem Heimweg hatte sie sich zwei Flaschen besten Champagner mitgenommen. Nun hing sie in ihrem Wohnzimmer im Sessel und war dabei, das letzte Drittel der ersten Flasche zu leeren. Sie wisperte vor sich hin: „Das Leben dieser letzten Monate ist nur noch im Suff zu ertragen.“
Es störte sie überhaupt nicht, dass sie wenig Damenhaft rülpste. Gleich leerte sie ihr Glas, griff zur Flasche und torkelte zu ihrem Schlafzimmer. Aus dem Kühlschrank holte sie sich noch die unangebrochene Flasche dazu. Einen kleinen Schwips wollte sie sich bewusst antrinken, weil sie wusste, wie gut sie stets nach einem leichten Sektrausch geschlafen hatte. Irgendwann war die Grenze überschritten. Nun lallte und torkelte sie nur noch. Umständlich stieg sie aus ihren Sachen. Mit einem Blick in den Spiegel lallte sie: „Ist es nicht schade um so einen Rassekörper?“
Nackt ließ sie sich aufs Bett fallen. Grob packte sie ihre Brüste und schrie: „Auch ihr werdet ein Opfer dieses verfluchten Kometen sein.“
Momentan spürte sie eine andere Nebenwirkung des Champagners. Schon immer war sie nach diesem Kribbelwasser geil geworden. Dieses Phänomen stellte sich nun auch ein. Spöttisch rief sie ihrem Körper abwärts: „Hast du es mitbekommen, Kleine, in acht Monaten ist der Weltuntergang. Ist das nicht Grund genug, keinen Tag nutzlos vergehen zu lassen?“
Es waren nur noch ein paar Handgriffe, an denen sie sich zwischen ihren Beinen erfreuen konnte. Ihr spezielles Schlafmittel wirkte. Sie fiel von einer Sekunde zur anderen in Morpheus Arme.
Filomena musste sich erst besinnen. Die Klingel hatte sie erweckt. Draußen war es bereits stockdunkel. Nackt schlich sie zur Wohnungstür und schaute durch den Spion. Sie war erleichtert. Richard war es. Voller Mitleid dachte sie daran, wie sie ihn am frühen Morgen abrupt vor die Tür gesetzt hatte. Sie dachte gar nicht daran, sich etwas überzuziehen. Er staunte nicht schlecht, dass sie splitternackt vor ihm an der geöffneten Tür stand. Schon beim ersten Kuss bemerkte er, wie sehnsüchtig er empfangen wurde. Wohlweislich führte Filomena ihn ins Wohnzimmer. Er musste den Alkoholdunst im Schlafzimmer nicht bemerken und auch nicht die beiden Flaschen. Schon beim ersten Kuss hatte sie ein ungutes Gefühl gehabt. Nun sprang sie erst mal ins Bad und machte sich appetitlich. Während sie vor dem Spiegel stand und ihre wunderschönen Brüste während des Zähneputzens wippen sah, stand plötzlich die unbegreifliche Bedrohung wieder vor ihr. Mit aller Macht versuchte sie die Gedanken abzuschütteln. Das gelang erst, nachdem sie schon lange ausgestreckt vor Richard gelegen hatte und sein zauberhaftes Petting ihr einen berauschenden Orgasmus bescherte. Er wusste es vielleicht gar nicht richtig zu deuten, wie fest sie ihn umschlang und sich gar nicht wieder von ihm lösen wollte, obwohl sie doch an ihren Schenkeln spürte, wie sehr auch ihm nach Entspannung war.
Hanna Goodman hatte gegen sechzehn Uhr noch einmal am Telefon mit ihrem Mann sprechen können. Da wartete er immer noch auf eine Information aus der näheren Umgebung des Präsidenten. Seit dem konnte Hanna ihren Mann nicht mehr erreichen. Sie hatte absolut keine Ahnung, was der in dieser Zeit erlebte. Gegen zweiundzwanzig Uhr war die Frau des Professors in völliger Erschöpfung eingeschlummert. Zig Szenarien hatten während des Tages ihre Fantasie angetrieben. Immer wieder versuchte sie sich mit ihren bescheidenen Vorstellungen den Tag auszumalen, an dem der Komet bereits den Himmel verdunkeln würde. Andererseits bangte sie erst mal ganz aktuell um ihren Mann. Würde es ihm gelingen, den Präsidenten zu überzeugen? Hatte er überhaupt recht mit seiner Theorie? Und wenn alles nur ein Windei war? So irrten ihre Gedanken den ganzen Tag umher.
Der Professor wurde gegen siebzehn Uhr von einem unauffälligen Regierungswagen am Institut abgeholt. Er hatte es durchsetzen können, für zehn Minuten mit dem Präsidenten unter vier Augen zu sprechen.