Professor Goodman war lange nicht so stark unter Drogen, wie es der Klinikchef glaubte. Systematisch beobachtete er seine Umgebung und die Gepflogenheiten der Klinik. Es war wohl der neunte Tag seiner Gefangenschaft, als er den lange durchdachten Schlag führte. Der Klinikchef saß mal wieder auf dem Bettrand. Seine Wodkafahne glaubte er gar nicht unterdrücken zu müssen, weil sein Patient ohnehin apathisch vor ihm lag. Unter Aufbietung aller Energie sprang der drahtige Goodman auf, entriss dem Weißkittel die Spritze und jagte sie dem selbst irgendwo ins Bein. Ein heftiger Faustschlag auf den Kopf half noch nach, den scheinbar ziemlich alkoholisierten Mann still zu stellen. Es war keine Mühe mehr, ihm das Schlüsselbund abzunehmen. Bill hatte keine Ahnung, was ihn draußen erwarten würde. Sein Risiko wurde belohnt. Minuten später war er in Hemd und Hose des Psychologen in Freiheit. Verzweifelt suchte er am Tor ein Firmenschild, um zu wissen, wo er sich überhaupt befand. Fehlmeldung! Ein Glück, dass wenigstens die Wetterstation in einiger Entfernung den Ort angab.
Insgesamt drei Tage und drei Nächte war er auf der Flucht, ehe er von einem guten Freund aus seine Frau anrufen konnte. Positiv daran war, dass sein Hirn von Tag zu Tag wieder klarer wurde. Die Herausforderungen machten es sicher, dass er wieder rational denken konnte. Er nahm sich fest vor, alles aus seinem Gedächtnis zu streichen, was er in den drei Tagen angestellt hatte. Vom Mundraub bis hin zum Kleiderdiebstahl in einem Warenhaus ging sein Sündenregister. Der Drang zum Überleben hatte alles in ihm mobilisiert.
Hanna sackte vor Freude bald zusammen, als sie Bills Stimme am Telefon hörte. Sie verkniff es sich, nach Einzelheiten zu fragen, weil sie sich sicher war, dass ihr Apparat abgehört wurde. Krampfhaft versuchten sich die beiden zu verständigen. Bill hatte sich auf den springenden Punkt vorbereitet. Er sagte völlig aus dem Zusammenhang: „Denkst du noch an unsere erste Poolparty?“
Hanna zitterte vor Freude. Sofort hatte sie begriffen, worum es ging. Ihre erste Poolparty hatten sie bei Freunden im Keller des Landhauses mitgemacht. „Bis dann“, schrie sie noch in den Hörer, dann stürzte sie auch schon nach einem Griff zu ihrer Handtasche aus der Wohnung. Blitzschnell hatte sie geschlussfolgert, dass man sie streng observieren würde, wenn das Gespräch mitgehört worden war. Sie schlug sich mit der Hand an den Kopf und dachte daran, dass das Haus sicher schon lange unter Beobachtung stand, wenn ihr Mann auf einer unerklärlichen Flucht war. Die alte Frau im Erdgeschoss wunderte sich nicht schlecht über Hannas Wunsch, aus ihrem Fenster an der Rückseite des Hauses steigen zu dürfen. Hanna war wohl noch nicht mit beiden Beinen auf der Erde, da hielt vor der Haustür ein Wagen, aus dem zwei Herren stiegen, die sich eilig ins Haus begaben.
Hanna musste keine Angst haben, eine Spur zu hinterlassen. Sie ging ruhig durch die Menschenmenge. Es war Feierabendzeit. Die Leute drängten nach Hause und zum Einkauf. Dreimal wechselte sie das Taxi, ehe sie in das stieg, was sie zum Landhaus der Freunde bringen sollte. Sie hatte keine Ahnung, dass sie dort schon erwartet wurde. Kaum hatte das Taxi gewendet und sich entfernt, trat Bill hinter einem Baum hervor. Sie lagen sich in den Armen. Keiner brachte vor Rührung einen Ton über die Lippen. Erst als sie eine ganze Weile hinter dem Haus auf der Schaukel gesessen und sich die Lippen bald wund geküsst hatten, fragte Hanna: „Und was nun?“
„Nun werden wir Einbrecher spielen und uns in dem Haus unsichtbar machen.“
„Du willst?“
„Wir haben keine Wahl“, entschied er und machte sich schon am Gitterrost zu schaffen, der den Lichtschacht am Kellerfenster abdeckte.
Nachdem sie voller Freude festgestellt hatten, dass die beiden Kühlschränke, die Tiefkühltruhe und der kleine Vorratskeller gut gefüllt waren, erstatte Bill erst mal einen ausführlichen Bericht über sein Schicksal. Ganz still war Hanna geworden. Sie warf nur ein, dass auch Filomena verschwunden war und sein Privatcomputer noch beim Geheimdienst stand.
Erst kurz vor Mitternacht gingen sie zu Bett. So lange hatten sie in der Dunkelheit gesessen, weil sie sich nicht wagten, Licht einzuschalten. Es gab in dem kleinen Örtchen noch an die fünfzehn Häuschen. Man konnte nie wissen.
Bill lag mit dem Kopf auf Hannas Brust und ließ es sich gefallen, wie zärtlich sie sein Haar streichelte. Plötzlich fuhr er auf: „Hör mal, du musst mich nicht wie einen Kranken behandeln. Wieso bist du überhaupt in dem blöden Nachthemd deiner Freundin ins Bett gekommen?“
„Du kannst das ja ändern, wenn du willst“, lockte sie und tastete mit der Hand unter seine Bettdecke. Sie hätte sich nach seiner anstrengenden Flucht nicht zu einem Annäherungsversuch vorgewagt. Aber wenn er es ausdrücklich wollte. Sie wand sich vor Lust, als er ihr das Nachthemd auszog und alles mit Küssen bedeckte, was er gerade freilegte. So ausschließlich hatte sie noch niemals die Nehmende gespielt. Sie fühlte sich wohl, weil er alles so machte, wie sie es schon lange von ihm kannte. Sie hatte keinen Grund zum Meckern. Geduldig bereitete er ihr ein zauberhaftes Vorspiel. Dreimal wähnte sie sich auf weichen Wattewolken, ehe sie begann, selbst ein wenig Initiative zu übernehmen. Ganz begierig war sie darauf, alles von ihm zu schmecken. Es machte ihr überhaupt nichts aus, dass bei seiner Aufregung und bei der langen Enthaltsamkeit alles viel zu schnell ging. Die Nacht war noch lang und sie wussten, dass sie nach Belieben ausschlafen konnten. Zunächst hatten sie ja weiter nichts vor, als sich zu verstecken und abzuwarten.
Die Sonne musste jeden Augenblick aufgehen, da jubelte sie zu Bills neuem Ansturm: „Du hast ja wieder ein Stehvermögen heute.“ In diesem Moment fiel ihr ein, dass ihr Journalist in Erwägung gezogen hatte, der Herr Professor konnte mit seiner Assistentin durchgebrannt sein. Sie sagte es laut und freute sich wahnsinnig über seine Entgegnung: „Für mich wird es niemals eine andere Frau geben.“
Launig warf sie hin: „Man sollte niemals ´niemals´ sagen.“
Im Inneren zitterte sie, weil sie an ihren Fehltritt mit dem Journalisten dachte. Es fehlte ihr an Mut, darüber zu reden. In diesen Gedanken rutschte sie auf den Beinen ihres Mannes abwärts und bewies ihm noch einmal mit ihren zärtlichen Lippen, wie sehr sie ihn liebte. Ihm schien die Erwartung, dass sie ihn so entkräften wollte, gar nicht recht zu sein. Eilig holte er sie wieder in den Sattel und feuerte sie mit Schenkeldrücken zu einem flotten Ritt an. Sie keuchte immer noch vor Wonne, als auch er seine Befriedigung bekam. Hanna ließ sich einfach abkippen, streckte sich wohlig und gurrte: „Ich bin wunschlos glücklich. Nur schlafen möchte ich noch und am Morgen in deinen Armen erwachen, mit dir gemeinsam frühstücken und mich dann wieder lieben lassen. Oh Bill, du weißt nicht, wie sehr ich dich liebe. Egal, was uns noch bevorsteht. Ich werde immer an deiner Seite sein.“
In seinen Armen erwachte sie am Morgen wirklich. Ansonsten manipulierte sie die Reihenfolge ein wenig. Sie freute sich an dem Anblick, der ihr sofort in die Augen stach. Er hatte die Decke weggestrampelt und zeigte ihr seine erstaunliche Morgenerregung. Ganz leise schlich sie sich aus dem Bett und bereitete das Frühstück. Mit dem großen Tablett kam sie zurück und lockte mit dem Duft frischen Kaffees. Der Honig kam allerdings erst mal nicht aufs Brötchen. Sie machte sich damit einen süßen Lolly und labte sich daran. Sie bekam gerade die Kurve noch, um ihn auf sich zu ziehen und ihrer Kleinen den Morgengruß zu gönnen.